Ein ausgezeichnetes Projekt
Sozialgenial-Zertifikate für den Deutsch-Leistungskurs von Melih Tüzem
Nach den Sommerferien im Jahr 2010 übernahm ich einen 12er-Leistungskurs im Fach Deutsch. Da man in einem Kurs, der wöchentlich fünf Stunden umfasst, einerseits intensiver arbeiten kann, aber andererseits gelegentlich auch den Freiraum hat, über den bloßen Unterrichtsstoff hinauszugehen, nutzte ich diese Möglichkeit, um etwas auszuprobieren, was mir schon länger vorschwebte.
Am Anfang stand die Analyse zweier gesellschaftskritischer Liedtexte (Culcha Candela – Schöne Neue Welt und Jan Delay – Oh Jonny). Wir besprachen die in diesen Texten angesprochenen Problemfelder – Klimakatastrophen, Treibhauseffekt, Fast Food, Abholzung des Regenwaldes, Krankheiten, Atomenergie, Internet- und Drogenkriminalität, Überwachungsstaat, Schönheitswahn, Gewalt im Alltag, Lügen, Medienmoral, Gewissenlosigkeit, Geldgier, allgemein unsoziales Verhalten den Mitmenschen gegenüber. Dann überlegten wir gemeinsam, was der Einzelne dagegen tun könne. An diesem Punkt wies ich darauf hin, dass ich diese Überlegungen nicht auf der Theorieebene belassen wolle, dass sich die Schülerinnen und Schüler also ganz konkret überlegen sollten, wie umsetzbare Konzepte aussehen könnten, durch die man das Leben im direkten Umfeld ein Stück weit verbessern könnte.
Nachdem diese Konzepte in schriftlicher Form vorlagen, wurden etwaige Vor- und Nachteile bei allen Vorschlägen kritisch reflektiert. Ich als Lehrperson hielt mich hierbei im Hintergrund und die Kursteilnehmer diskutierten offen, inwiefern die Umsetzung eines solchen Projektes überhaupt Sinn mache und in welchem Rahmen es am besten umsetzbar sei. In der Diskussion kristallisierte sich heraus, dass die Arbeit im Kindergarten und in der Grundschule auf fruchtbaren Boden fallen müsse, da „unsere Zukunft bei den Kindern [anfange]“ (Schülerzitat). Hinzu kam die räumliche Nähe des KiLiBa und der Friedensschule, sodass sich schnell zwei Schülergruppen bildeten, die sich um die Aufnahme passender Ideen in realisierbare Konzepte kümmerten. Die Kontaktaufnahme erwies sich als überaus leicht, da sich die Leiterinnen von KiLiBa und Friedensschule als überaus hilfsbereit und zuvorkommend erwiesen und das Engagement unserer Schülerinnen und Schüler nach Kräften zu unterstützen gewillt waren. Selbiges galt auch für unseren Schulleiter Herrn Merschen. Schwieriger war da schon die Koordination dreier unterschiedlicher Zeitpläne, aber auch dieses Problem konnte „kreativ“ gelöst werden.
In den Kindergarten begaben sich Zweier-Teams, die mit den Kindern Spiele spielten, mit denen sie auf Probleme aufmerksam machten und zum Beispiel das Thema Mülltrennung besprachen.
Drei Vierer-Teams wurden in die Grundschule entsandt, die den Jahrgangsstufen 1, 3 und 4 spielerisch die Themen Umwelt, Gesunde Ernährung und Gemeinschaftsgefühl näherbrachten. Es wurden Mind-Maps zum Thema „Gemeinschaft“ entwickelt, Vertrauensspiele gespielt und kurze Sketche zu den Themen „Gesundes Essen“ und „Umweltbewusstes Verhalten“ geschrieben, geprobt und vorgespielt.
(Fotos aus der Friedensschule von Sandra Böckmann)
Sowohl von den Betreuern als auch von unseren Kursteilnehmern wurde das Projekt positiv aufgenommen. Verbesserungswürdig wäre die zeitliche Umsetzung gewesen, da die Stundenpläne stark einschränkten und sich herausstellte, dass Lehrpläne leider kaum einen Rahmen für derartige Aktionen bieten. Bemerkenswert war, dass die Kinder über die Themen – durch eine sehr gute Vorarbeit der Betreuer und Betreuerinnen und Lehrer und Lehrerinnen – teilweise bereits gut informiert waren.
Positiv für mich war trotz der genannten Schwierigkeiten, dass ich sehen konnte, wie sich Engagement positiv auf alle Beteiligten auswirken kann, denn sowohl die Kinder als auch unsere Schülerinnen und Schüler konnten aus dem Projekt die Gewissheit mitnehmen, dass sie die Zusammenarbeit menschlich weitergebracht hat und sie einen Zuwachs im Hinblick auf die im Schulgesetz erwähnte Werteerziehung und die damit einhergehende, gesellschaftlich notwendige Sozialkompetenz erwerben konnten. Meine Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen konnten zudem ein Projekt ganz nach eigenen Vorstellungen konzipieren und umsetzen. Die Wertschätzung ihres Engagements sich in den Kinderaugen widerspiegeln zu sehen, war sicherlich eine Bestätigung ganz besonderer Art. ;-)
Ehrlicherweise muss man natürlich auch sagen, dass nicht alles perfekt geklappt hat und auch für mich selbst die Umsetzung eines Projektes dieser Art ein Novum war. Ein Anfang ist aber gemacht und beim nächsten Mal kann man sicherlich die gewonnenen Erfahrungen mit in die Überlegungen einfließen lassen.
Den Abschluss fand das Projekt in einer Evaluation im Rahmen eines Interviews mit dem Journalisten Daniel Gerhards, der den Kurs zu seinen Erfahrungen befragte. Sein Artikel in den Aachener Nachrichten und der lokalen Super Sonntag fiel überaus positiv aus. Die Schülerinnen und Schüler haben ihre Erfahrung im Gespräch und im Unterricht angemessen kritisch reflektiert und sind zu dem Schluss gekommen, für sich positive Erfahrungswerte daraus gezogen zu haben.
Öffentliche Aufmerksamkeit über die Grenzen der Region hinaus erfuhr unser Projekt durch die Anmeldung bei dem Projekt Sozialgenial, einer Initiative der WGZ Bank in Trägerschaft der Aktiven Bürgerschaft e.V.. Die Wertschätzung des Engagements meiner Schülerinnen und Schüler wurde dokumentiert durch die Ehrung mit den Sozialgenial-Zertifikaten, die am 7.7.2011 in Düsseldorf übergeben wurden. Von 200 teilnehmenden Schulen wurden 2 ausgezeichnet und eine davon waren wir. Neben der Schulministerin Sylvia Löhrmann war einer der Gastdozenten der Bildungs- und Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, den unsere Kursteilnehmer bislang nur aus ihren Klausurthemen kannten und nun selbst zu seinen Theorien befragen konnten.
Die positive Resonanz spiegelte sich auch in einer Reportage im WDR-Hörfunk wider, ein weiteres Zeichen, dass Projekte dieser Art sich lohnen und für alle einen Gewinn bedeuten.
Text: Melih Tüzem