Politik von TikTok bis Küchentisch
von Thomas Vogel
Wo sich Schülerinnen und Schüler informieren und welche Themen ihnen wichtig sind. Ein Schlaglicht.
BAESWEILER In vier Tagen ist Bundestagswahl, da ist die mediale Auslage reichhaltig bestückt mit politischen Beiträgen zwischen Information und Wahlwerbung. Obacht! Es gelte, Inhalte nicht unkritisch zu schlucken, sondern zu hinterfragen – gerade auf Instagram, TikTok, Youtube und anderen Plattformen im Netz: Was ist korrekt und was eher nicht? Das sagen sechs Schülerinnen und Schüler des Baesweiler Gymnasiums, einige von ihnen kurz davor, manche gerade so im Alter, selbst ihre Stimme abzugeben. Wie informieren sich junge Menschen dieser Generation über Politik, was ist ihnen wichtig und was geht gar nicht?
Was den letzten Punkt angeht, redet Ha Mi Tran, 17 Jahre alt, nicht lange um den heißen Brei herum: Die CDU gehe gar nicht. Das sei auch nicht allein ihre Meinung, sagt die Baesweilerin, sondern dieser Punkt werde in Gesprächen mit Freundinnen und Freunden ihrer Altersgruppe immer wieder deutlich. „Egal ob du eher Rechts, Links oder Mitte bist, CDU wird nicht gewählt. Alleine, weil sie schon so lange regiert und sich nichts verändert hat.“ Sie habe sich das Wahlprogramm durchgelesen und den Eindruck, alles solle beim Alten bleiben, sagt Ha Mi. „Ich persönlich brauche aber Veränderung in diesem Land und ich habe das Gefühl, die CDU wird sie nicht bringen.“ Klassenkameradin Houda Bouhajra (18) nickt.
Jede Partei habe ihre Stärken und Schwächen, erklärt Houda. Egal ob CDU, Grüne, SPD – die empfinde sie als klassische Parteien, bei denen man sich aber schon die Frage stellen könne, ob sie das Beste fürs Land seien. Ruben Matzerath (18) aus Oidtweiler hat bislang keine Partei gefunden, die zu 100 Prozent seinen Interessen entspricht, „was aber okay ist für mich“. Noch habe er sich nicht endgültig festgelegt, wen er wählen werde. Scholz und Wirecard aber habe er nicht vergessen, diese Geschichte habe ihn insgesamt kritischer gemacht.
Meinungsbildung an drei Orten
Miesepetrigkeit, sobald es auf politische Themen zu sprechen kommt? Keine Spur. Im Gegenteil: „Ich will wissen, was aktuell los ist. Ich will wissen, wie es gerade läuft und wie meine Zukunft wahrscheinlich aussehen wird“, sagt Ha Mi. Ähnlich drückt es ihr Altersgenosse Timoçin Süleyman Alpaslan (17) aus: „Ich befasse mich mit den Möglichkeiten, die ich habe, ich rede gerne mit und möchte deshalb informiert sein.“
Wer sich fragt, wo die kommenden Erstwählerinnen und Erstwähler sich ihre politische Meinung bilden, kommt im Gespräch mit ihnen auf drei Orte: zum einen – wenig überraschend – im Internet, Plattformen wie Instagram, Youtube, TikTok, Twitter. Für manche vielleicht etwas überraschender: Am Küchentisch, im Gespräch mit den Eltern. Und in den klassischen Medien – Fernsehen und Zeitung.
Leo Rosenbaum (16) hat „Die Zeit“ abonniert, Gespräche innerhalb der Familie drehten sich regelmäßig um Politik. Nicht der Standard, schon gar nicht in Leos Alter: Sein Interesse an Politik macht bei bloßer Information nicht Halt, er möchte selbst etwas bewirken, selbst teilhaben. Viele Menschen hätten nicht den Eindruck, die Möglichkeit zu haben. „Diese Tür im Kopf muss man einfach öffnen und sich selbst sagen: Ich kann für meine Positionen kämpfen, ohne Scham haben zu müssen.“ Deshalb engagiert er sich mittlerweile bei den Jusos.
Politische Inhalte sieht Leo sich ab und zu auch auf TikTok an, allerdings könne man sich dort meist nicht sicher sein, wie seriös die Quellen sind. „Vieles davon ist Ideologie in meinen Augen. Vielleicht auch Identitätspolitik, sodass man denkt, es ist irgendwie cool, eine radikale Meinung zu haben, hat sich damit aber noch nicht intensiver auseinandergesetzt.“
Timoçin geht es ähnlich. „Es ist oft so, dass ich in Sozialen Medien etwas sehe und mich frage, ob das wirklich so stimmt, und dann forsche ich noch einmal selbst auf Google oder Youtube nach.“ So wie Ruben, nachdem er sich ein Video angeschaut hatte, in dem es hieß, die Grünen würden im Falle eines Wahlerfolgs Paintball verbieten. „Da dachte ich mir: Das klingt nicht sehr logisch. Es brauchte nicht viel Recherche um zu erkennen, dass es nicht gestimmt hat.“
Die bevorstehende Bundestagswahl wird auch die erste sein, bei der André Knoblauch seine Stimme abgeben darf. Alleine deshalb schon sei es wichtig, über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden zu sein, die Einstellungen der Parteien zu unterschiedlichen Themen – zum Beispiel Afghanistan – zu kennen. Nur so könne man einschätzen, was man bekommt, wenn man einem bestimmten Kandidaten seine Stimme gibt. Das bedürfe der Recherche.
Ein gutes Stichwort. Recherche ist den jungen Menschen nicht fremd, wird wie beschrieben mal im Netz oder klassischen Medien betrieben. Mal wird aber auch direkt in der Ursuppe gegründelt, den Programmen der Parteien. Wenn meist auch nur in Auszügen. Timoçin etwa hat sich Wahlprogramme der Grünen, von CDU, SPD und den Freien Wählern angeschaut. Auch Leo hat in ausgewählte Programme hineingelesen (SPD, FDP, AfD), um zu sehen, ob sein Bild dieser Parteien korrekt ist, oder ob inhaltliche Differenzen vorhanden sind.
Parteiprogramme lesen, sagt Ruben, „das zieht sich für mich so ein bisschen. Da gucke ich lieber ein knackiges Video, da habe ich das Wichtigste auf die Schnelle“. Andere gehen überhaupt nicht aktiv auf die Suche nach Informationen, klicken aber, wenn im Feed ein politisches Thema serviert wird, das sie interessiert.
Und diese Themen drehen sich oft um die Zukunft – ein Kernpunkt, den die jungen Menschen immer wieder ansprechen. Manchmal, ohne ihn direkt zu benennen. Geht es darum, was die Baesweiler Schülerinnen und Schüler auf der politischen Agenda sehen möchten, fallen immer wieder die Begriffe Umwelt und Klima.
Nach einer Erklärung dafür muss André nicht lange suchen: „Ich lebe ja voraussichtlich noch ein paar Jahre auf der Erde, und da wäre es schon vorteilhaft, wenn es besser läuft und wir den Klimawandel in den Griff bekommen.“ Es gehe auch darum, Kindern und Enkeln eine solide Basis zu schaffen und dafür zu sorgen, dass es nicht so bleibt wie bei ihrer Generation, die „den ganzen Mist, den die vorherigen Generationen verpasst haben, aufholen müssen, weil wir nicht anders können“.
Umweltschutz ja, „aber man muss den auch so gestalten, dass er nicht zu negative Konsequenzen mit sich bringt“, sagt Ruben und erklärt weiter, dass man Benzinpreise natürlich erhöhen könne, um das Verhältnis von Autos mit Verbrennungsmotor und Elektroautos zu beeinflussen. Dann müsse man allerdings auch dafür sorgen, dass E-Autos für eine breite Masse erschwinglich werden. So sieht es auch Leo: Ja, die Umwelt müsse gerettet werden, darüber dürfe man aber jene Familien und Alleinerziehende nicht im Stich lassen, die sich diesen Wandel nicht leisten können.
Weitere Themen, die von den Schülerinnen und Schülern als wichtig empfunden werden, sind etwa Digitalisierung sowohl in der Schule wie zu Hause und die Bekämpfung von Rechtsextremismus. Das Thema Frauenrechte, erklärt Ha Mi, sei in der Politik bislang nicht ausreichend repräsentiert. Eine stärkere Regulierung von Wirtschaft und Konzernen wird genannt, sichere Arbeitsplätze und faire Arbeitsbedingungen mehrfach. „Jeder sollte frei leben können, ohne Angst haben zu müssen, keine Arbeit zu finden“, sagt Houda.
In der Politik, resümiert Timoçin, liege das Hauptaugenmerk in der Regel auf den großen, meist aktuellen Themen: Klimaschutz, Afghanistan, Corona. „Ich glaube, dass sehr wenig Courage dafür vorhanden ist, sich für kleinere Themen einzusetzen.“ Wie etwa dafür, psychische Erkrankungen aus der gesellschaftlichen Tabuzone herauszuholen – ein Thema, das er sich auf der politischen Agenda wünschte.
Die intensivere Beschäftigung mit Politik und Politikern im Vorfeld einer Podiumsdiskussion mit den Bundestagskandidaten der Städteregion, an der die Schülerinnen und Schüler des Baesweiler Gymnasiums sich beteiligten, schlug sich im Einzelfall nieder. Für André zum Beispiel. Für ihn hat sie die Wahlentscheidung erschwert, „weil irgendwann viele Fakten hochkamen, zum Beispiel die ganzen Plagiatsvorwürfe, und damit verbunden die Frage: Wählt man die jetzt noch?“ Nicht zu wählen, sei jedoch keine Option.
(Erschienen in der Aachener Zeitung, 22.09.2021)