„Nicht zu viel Druck ausüben“
Rita Barbier und Melih Tüzem sind Lehrer an „ihrem“ Gymnasium. Sie erzählen vom Kontakt zu den Schülern.
BAESWEILER Stellen Sie sich vor, Sie sind Lehrer oder Lehrerin. Und das in Ihrer Heimatstadt. Da kann es durchaus vorkommen, dass Sie im Supermarkt von einem Schüler beim Kauf von Tomaten „entdeckt“ werden. Was den Sechstklässler irgendwie ein wenig überfordert, der selbige Lehrkraft halt bislang nur in Verbindung mit der Institution Schule gesehen hat. Oder aber es klingelt plötzlich an der Haustür, und dort steht ein Teil Ihrer Klasse und möchte spontan einen Besuch abstatten. Alles schon passiert. Nämlich den beiden Lehrern Melih Tüzem und Rita Barbier, die in Baesweiler leben, das dortige Gymnasium besucht haben, und nun dort unterrichten.
Solche Treffen mit den Schülern seien für sie kein Problem, im Gegenteil, sie seien ein Stück Normalität, das einfach dazugehört. „Da muss man halt locker sein und ein dickes Fell haben, manchmal reicht ja auch schon ein Hallo und ein nettes Lächeln. Und ab und an trifft man auch ehemalige Schüler, und es ist interessant zu erfahren, was aus ihnen geworden ist“, berichtet Melih Tüzem, der 1998 sein Abi in Baesweiler „gebaut“ hat und die Fächer Deutsch, Englisch und Philosophie unterrichtet. Und Rita Barbier (Abi-Jahrgang 1981/Lehrerin in den Fächern Französisch, Katholische Religion und Geschichte) ergänzt: „Manchmal ist so ein Schnack mit Schülern oder Eltern ja auch schön, und zum Beispiel nach den Zeugnisnoten hat auch noch niemand gefragt.“
Der Traum vom Müllmann
Für beide Lehrer ist ihr Beruf nicht nur irgendein Job, sondern die Umsetzung ihres beruflichen Traumes. Wobei das aber nicht ganz von Anfang an so war. Vom Müllmann im Alter von drei Jahren über den Tierarzt als Sechsjähriger bis hin zum Paläontologen mit neun und Anwalt mit 15 kam Melih Tüzem mit 17 Jahren zur Idee, Lehrer zu werden. „Wichtig ist vor allem, dass der Beruf Spaß macht. Da kann es nicht nur um darum gehen, viel Geld zu verdienen, sondern zu wissen, da gehe ich jetzt 40 Berufsjahre hin, und das macht mich glücklich. Und das habe ich am Gymnasium Baesweiler gefunden, wo ich mich als Schüler wohl gefühlt habe und nun gerne etwas zurückgeben möchte. Denn ich bin ein echter Baesweiler Lokalpatriot“, stellt er heraus.
„Durch die Sprache der eigenen Kinder ist es leichter, die heutige Jugend zu verstehen.“
Rita Barbier, Lehrerin
Auch Rita Barbier hatte vor dem Lehrerberuf, der bei zwei weiteren Geschwistern, die Lehrer wurden, sozusagen in der Familie liegt, ganz andere Pläne. Auslandskorrespondentin und Reiseleiterin stand für die sprach- und reisebegeisterte Frau ebenso auf der Agenda wie Architektur.
Bereut haben aber beide den Schritt „back to the roots“ als Lehrkraft an dem Gymnasium, an dem sie gereift sind, nie. Denn, so sind sie sich einig, es sei doch eine tolle Sache, dazu beizutragen, eigenständig denkende und handelnde junge Menschen zu prägen. „Da geht es nicht nur um die Vermittlung von Kommazeichen, sondern darum, auch in spontanen Diskussionen mit Kindern und Jugendlichen empathisch zu sein“, findet Melih Tüzem. „Natürlich ist es aber auch schön, Lernerfolge zu sehen, wenn der Lehrstoff gut angekommen ist.“
Wissen, was läuft, ist wichtig
Die menschliche Basis stellt auch Rita Barbier heraus: „Die Schüler sollen Freude daran haben, etwas zu lernen. Da muss man auch mal locker sein und abschweifen können und zusammen lachen, auch wenn bei aller Liebe zu einer Sprache das Lernen von neuen Vokabeln schwerfällt“, schildert sie ihre Berufserfahrungen. Der Wohlfühl-Faktor, so sagen beide, sei ein wichtiges Thema. Was für die Lehrkräfte wie auch für die Schülerschaft gelte. Immer auf dem neusten Stand zu sein, sei dabei sehr wichtig. „Durch die Sprache der eigenen Kinder ist es leichter, die heutige Jugend zu verstehen“, sagt Rita Barbier, während Melih Tüzem durch Plattformen wie TikTok oder eigene Hobbys wie Filme und Musik leichter mit Schülern ins Gespräch kommt. Natürlich solle dabei auch mal gelacht werden, zum Beispiel, wenn im Fach Philosophie beim Umgang mit Depression eine Unterstufen-Schülerin anmerkt: „Da würde meine Mutter mich zum Psychopathen schicken.“ Sie meint wohl den Psychologen. Mittlerweile, so erzählt Tüzem lachend, ist der Versprecher in dieser Jahrgangstufe längst ein Running Gag.
„Da geht es nicht nur um die Vermittlung von Kommazeichen, sondern darum, auch in spontanen Diskussionen mit Kindern und Jugendlichen empathisch zu sein.“
Melih Tüzem, Lehrer
Was aber macht einen erfolgreichen Unterrichtstag und einen guten Lehrer aus? „Schlagfertig sein, weder zu viel Druck auszuüben noch zu freundschaftlich sein, und vor allem: Der gegenseitige Respekt darf nicht fehlen“, erklären Tüzem und Barbier unisono. Die große Aufgabe sei es, die Schüler zu erreichen, sie im Unterricht mitzunehmen. Und das sei heute auch nicht anders als früher. Spannenden und langweiligen Unterricht, tolle und weniger tolle Lehrer – all das habe es immer schon gegeben.
Zeit nehmen für die Sorgen
Schauen die beiden Baesweiler Lehrer, für die Idealismus im Beruf an vorderster Linie steht, auf den bisherigen Verlauf der Pandemie zurück, so sei es wichtig gewesen, sich viel Zeit für Gespräche über die Sorgen und Probleme der Schüler(innen) zu nehmen. „Was in den Kids gerade in der Pubertät arbeitet, dürfen wir nicht ignorieren. Die Kinder können nicht die Last der Welt auf den Schultern tragen, wir müssen da immer ein offenes Ohr haben“, sagt Melih Tüzem. Jetzt, so stellt Rita Barbier heraus, sei es wichtig, den Präsenzunterricht zu erhalten. „Die Gemeinschaft, das Zwischenmenschliche, fehlte den Jugendlichen, und uns fehlte das Feedback, eine Reaktion auf den Unterricht zu sehen.“
Am Ende habe Corona noch einen positiven Nebeneffekt gehabt, denn so sei die Schule schneller in der Zukunft angekommen: Über die in der Schule eingeführte digitale Plattform ist es möglich, jetzt in der Präsenz außerhalb des Unterrichts bei Fragen immer im Austausch zu bleiben.
(Erschienen in der Aachener Zeitung, 25.09.2021)