Politiker diskutieren mit Baesweiler Gymnasiasten
Jungsein in Zeiten von Greta und „Artikel 13“
Baesweiler Kurz vor der Europawahl gilt die Jugend als politisiert wie lange nicht. Am Gymnasium Baesweiler diskutierte sie mit Vertretern von fünf Parteien.
Von Jan Mönch
Ob jemand bürgerlich wirkt oder richtig alternativ, ist manchmal nur eine Frage der Umgebung, man sieht es an Sabine Verheyen. Verheyen ist CDU-Mitglied und Europaabgeordnete, eine Politikerin der Mitte also, aber am Freitagvormittag kommt das irgendwie alles anders rüber. Als einzige auf dem Podium befürwortet sie die EU-Urheberrechtsreform und sogenannte Upload-Filter. Und auch gegen das Wahlrecht ab 16 spricht sie sich aus. Dass Verheyen mit diesen Positionen eher aneckt als Zuspruch erntet, liegt daran, dass das Podium sich im Gymnasium Baesweiler befindet und das Publikum aus Oberstufenschülern besteht.
In anderthalb Monaten stehen die Europawahlen an, und von den Terminen, die die Kandidaten und Mandatsträger wahrnehmen, finden auch einige in Schulen statt. Neben Verheyen sind Daniel Freund (Grüne), Igor Gvozden (Linke), Arndt Kohn (SPD) und Dr. Werner Pfeil (FDP) gekommen, nur die AfD hat trotz mehrfacher Anfrage keinen Vertreter (und auch keine Antwort) geschickt. Organisiert wurde die Veranstaltung von Schülern, die Moderation übernehmen Tim Geest und Stefan Krecker aus der Q2.
Im Allgemeinen ist die Menschheit sich ja darüber einig, dass mit der Jugend wenig anzufangen ist, und das spätestens seit der Antike. Im ausgehenden 20. Jahrhundert wurde dieser verbreitete Konsens um das Etikett „politikverdrossen“ ergänzt, das seien sie nämlich, die jungen Leute. In den vergangenen Monaten aber ist etwas Unerwartetes geschehen: Hunderttausende Schüler gehen gemeinsam mit einer sehr jungen schwedischen Aktivistin namens Greta Thunberg auf die Straße und demonstrieren für den Klimaschutz. Und auch wenn es in den Medien um die EU-Urheberrechtsreform geht („Artikel 13“), wird Volkes Stimme vor allen Dingen mit den Gesichtern von sehr jungen Menschen bebildert. Die Jugend, die gilt also plötzlich als interessiert, engagiert, politisiert. Doch ist sie das wirklich? Oder war sie es eigentlich schon immer und es hat nur niemand mitbekommen?
Mitdenken, mitarbeiten
Fragt man Schulleiter Wilhelm Merschen am Rande der Veranstaltung, bekommt man eine eher unaufgeregte Antwort. „Wir haben eine engagierte Schülerschaft. Es ist aber auch nicht so, dass mir wegen der Fridays-for-Future-Demos die Hütte eingerannt wurde“, sagt er. Richtig sei, dass „Artikel 13“ und Klimaschutz Themen seien, die die Schüler umtreiben. „Sie fühlen sich betroffen und entwickeln einen Hang zum Mitdenken, wenn nicht zum Mitarbeiten.“
Die Podiumsdiskussion bestätigt das, 90 Prozent der Zeit geht es um die beiden genannten Themen, wobei der „Artikel 13“ ganz vorne liegt. Der Austausch führt vor Augen, dass da eine Generation herangewachsen ist, die die Zeiten nicht erlebt hat, als man sich noch nicht im Handumdrehen einen Videotheksbestand oder digitalisierte Büchereien gratis aus dem Internet herunterladen konnte.
Applaus für Links
Ein Schüler aus dem Publikum, der sich als Bastian vorstellt und als CDU-Mitglied zu erkennen gibt, stellt fest, dass die Junge Union ja ganz im Gegensatz zur Mutterpartei gegen den Upload-Filter sei, und schlussfolgert: „Wir haben hier einen Generationenkonflikt.“ Sabine Verheyen hält entgegen, dass es doch nicht sein könne, dass die Internetkonzerne Milliarden mit fremdem geistigen Eigentum verdienen, während dessen Urheber leer ausgehen. Dass der sogenannte Upload-Filter natürlich ebenfalls Interessen von Konzernen schützt, die dann eben nicht Google heißen sondern Springer, Sony oder Warner, geht ein bisschen unter.
Leichter als Verheyen haben es die linksgerichteten Teilnehmer mit ihren Positionen. Für den Grünen Daniel Freund gilt quasi Heimvorteil, denn wenn eine Partei es begrüßt hat, dass Schüler schwänzen, um für den Klimaschutz zu demonstrieren, dann natürlich die seine. Die Linke hat damit aber auch kein Problem. Igor Gvozden erntet für seine flapsigen Bemerkungen viel Applaus („Wenn ihr weiter auf die Straße geht, stimmt nächstes Mal auch Frau Verheyen richtig ab“) und zeigt, wie man Streikrecht, Lehrermangel und Klimaschutz in einem einzigen Satz unterbringt.
Freidemokrat Pfeil ist in einer schwierigeren Position, denn sein Bundesvorsitzender hat ja vor ein paar Wochen gesagt, dass die Schüler mal lieber die Profis ihre Arbeit machen sollten, was nicht so gut ankam. Pfeil versucht das auszubügeln, indem er Sympathien für das Wahlrecht ab 16 erkennen lässt.
Einig sind sich alle darüber, dass es gut ist, wenn die Jugend ihre Stimme erhebt. Und die Hauptsache sei, man gehe wählen. „Engagement ist der Schlüssel zum Erfolg“, verrät SPD-Mann Kohn den Schülern. Dem Satz hätte schon vor einem Jahr und auch vor zehn oder 20 Jahren keiner widersprochen, als Jugendliche noch als politikverdrossen galten.
Erschienen in der Aachener Zeitung, 05.04.2019